Was soll ich schenken? Spätestens kurz vor dem Weihnachtsfest taucht sie auf, die Frage aller Fragen. Dabei kann Schenken einfach sein, ohne große Suche oder Einkaufs-Tortour. “Zeit statt Zeug” heißt die Devise.

17.12.2021, 14:38 Uhr von Nicole Remann

Freunden und Familie gemeinsame Zeit zu schenken, liegt voll im Trend. Immerhin ist Zeit ja bekanntermaßen das kostbarste Gut. “Wir leben in einer Zeit, in der die Geldlogik stark vorherrscht und befinden uns in einem ständigen ‘Zeit ist Geld’-Modus. In unserer Beschleunigungsgesellschaft ist es attraktiv, immer schneller zu werden”, weiß der Münchner Zeitexperte Jonas Geissler. Doch im Gegensatz zu Geld, das man immer irgendwie vermehren könne, sei Zeit begrenzt. Jeder Tag geht zu Ende, das Leben ist irgendwann vorbei, wir sind nicht unsterblich. So entwickelt sich das Gefühl, dass Zeit das kostbarste Gut und wahrer Luxus ist. “Wenn ich daher etwas wirklich Wertvolles verschenken will, weil ich eben so viel zu tun habe – dann meine Zeit”, so Geissler.

“Richtige” Zeit schenken

Damit Zeit-Geschenke nicht in Stress ausarten oder wir uns am Ende zu etwas verpflichtet fühlen, das zwar anderen Freude macht, uns selbst jedoch nicht, kommt es auch darauf an, die “richtige Zeit” zu schenken. “In diesem Reichtum an Möglichkeiten ist es cool, wenn man eine Sache verschenkt, von der man auch was hat und bei der man die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine sogenannte Resonanz-Erfahrung zu machen”, rät der Soziologe. “Denn was das Leben lebenswert macht, sind Antwort-Beziehungen mit meiner Umwelt. Der Kontakt zum eigenen Köper, zur Natur und zu meinen Mitmenschen – das alles kommt heute zu kurz, den Leuten fehlt etwas. Yoga, Waldbaden und solche Trends sind Gegenbewegungen dazu.”

“Beschleunigungszirkel” als Falle

In seinem Buch “Alles eine Frage der Zeit” beschreibt der Autor, dass wir heute an vielen Stellen im Leben Zeit einsparen – schnelle Mails statt zeitaufwendige Briefe beispielsweise. “Doch anstatt diese gewonnene Zeit zu nutzen, stopfen wir sie wieder voll. Dadurch brauchen wir wieder Zeiteinspar-Möglichkeiten. So landen wir in einem Beschleunigungszirkel dem wir aber alle entfliehen wollen.”

Weglassen ist das Geheimnis

Zeit-Geschenke sind eine gute Möglichkeit diesem Beschleunigungszirkel zu entfliehen. Dabei ist laut Experten das Wichtigste das Weglassen. “Das ist der echte Benefit. Durch das Weglassen reduzieren wir das Zeit-Geschenk auf das Wesentliche – das gute Gespräch, die geteilte Zeit in der Natur, die gemeinsame Stille, sich aufeinander konzentrieren, den Augenblick genießen und eine Resonanz-Erfahrung machen. Es kommt nicht auf das Entertainment an, sondern auf die Weglassen-Qualität.” So werden Zeit-Geschenke besonders wertvoll und sorgen für große Zufriedenheit auf beiden Seiten – wahre “Win-Win-Geschenke” würde man sie ökonomisch betrachten.

Erfahrungen statt Dinge

Statt der Klassiker bieten sich jede Menge Zeitgeschenk-Ideen an. Beispiel Schal: Wie wäre es stattdessen mal mit einer Nackenmassage? Ein Gutschein dazu ist schnell gemacht und einmal eingelöst, macht die Massage nicht nur kuschelig warm, sondern entspannt den Beschenkten auch zusätzlich. Statt dem x-ten Kochbuch lieber einen Kochabend schenken. Inklusive Terminplanung, Rezeptidee, Einkauf und – für die besonders Braven – danach Küche aufräumen. Auch die übliche Flasche-Wein kann man sich wahrlich schenken. Eine Wanderung durch einen Weinberg wäre dagegen ein tolles Erlebnis für alle Weinliebhaber. Statt der nächsten Shoppingtour lässt sich auch erstmal wunderbar “Hilfe beim Schrank ausmisten” verschenken. Das kann weg oder das darf bleiben – zusammen macht aussortieren definitiv mehr Spaß. Und es geht noch viel mehr. Statt Stofftier: z.B. einen Zoobesuch. Statt dem klassischen Weihnachtsstern: Blumen pflanzen im Frühling. Statt Staubsauger: eine kleine gemeinsame Putz-Party. Statt Haustier: erstmal zusammen Hunde ausführen. Statt Buch: einfach mal vorlesen oder zu einer Lesung gehen.

All diese Zeit-Geschenke schaffen wundervolle Erinnerungen und sorgen für große Zufriedenheit, denn nicht Dinge machen bekanntlich das Leben lebenswert, sondern Erfahrungen. “Nicht horten, sondern teilen” sagt Jonas Geissler und verschenkt selbst neben Zeit übrigens besonders gerne Spendenquittungen, sprich er spendet Geld an wohltätige Vereine für andere. “Das geht flott und sorgt ebenfalls bei allen Seiten für ein Wohlgefühl”. Und ein solches Wohlgefühl ist an Weihnachten doch besonders schön.