Deutschlandfunk Kultur, 4.3.2019

 

 

Im März 2021 soll es so weit sein, das letzte mal die Uhr umstellen. Wird in Deutschland dann dauerhaft die Sommerzeit einkehren? Zeitforscher Karlheinz Geißler lässt das kalt. Er lebt aus Überzeugung ohne Uhr. Warum?

Ein Leben ohne Uhr, für viele Menschen kaum vorstellbar. Wie sonst sollte man pünktlich aufstehen, die Kinder in die Schule bringen und von einem Termin zum nächsten eilen? Zeitforscher Karlheinz Geißler jedoch entzieht sich dem Terminmarathon, er lebt aus Überzeugung ohne Uhr.

„Das ist mein persönlicher Weg, die Zeit zu leben – und nicht die Uhr zu leben. Ich denke die Uhr kann man nur ertragen, man muss sie nicht tragen. Ich lebe den Tag und den Alltag nach der Zeit, die mir meine innere und meine äußere Natur vorgibt.“

Wie wir die Zeit wahrnehmen, hänge von unserer eigenen Zeitnatur ab, sagt Geißler.

„Wir sind ja selber die Zeit. Was wir Zeit nennen, ist das Werden und Vergehen bei uns selber. Wir sind eine Zeitnatur, die rhythmisch organisiert ist in unserer Biologie. Und die nehmen wir wahr.“

Uhr statt Biorhythmus

Hunger, Müdigkeit – all das seien Zeitsignale, nach denen sich Menschen genauso richten könnten wie nach einer Uhr. Doch seit vor 600 Jahren die Uhr erfunden wurde, erzählt Geißler, müssten wir immer, wenn es um die Zeit geht, eine Entscheidung treffen:

„Die eine ist, uns nach der Uhr zu richten, die hat keine Qualität. Oder uns nach unserem Zeitempfinden zu richten und das hat Qualität.“

Im Gegensatz zu der leeren, rein quantitativen Zeit, die im Kapitalismus ermögliche, Zeit mit Geld zu verrechnen, sei Qualitätszeit solche, die uns das Leben in unterschiedlichen Farben wahrnehmen lasse. Vor Erfindung der Uhr habe die Zeit noch mit einer unmittelbaren Naturerfahrung – dem Wetter – zu tun gehabt, erzählt Geißler:

„Früher war Zeit bei den Bauern identisch mit dem Wetter. Deshalb ist in allen romanischen Sprachen Zeit und Wetter noch der gleiche Begriff. Das heißt das Wetter, die Qualität der Zeit, ist aus der Zeit durch die Uhr herausgenommen worden. Und dadurch können wir jetzt die Zeit, die von Natur aus leere Zeit, in Geld verrechnen. Das haben wir getan und den Kapitalismus erfunden.“

Seine Empfehlung für mehr Qualitätszeit lautet deshalb:

„Weniger Zeit in Geld verrechnen. Wenn ich Zeit in Geld verrechne, das heißt sie zur Ware mache, sie zum Gegenstand mache, und nicht die Zeit auf mich zukommen lasse, sondern immer so tue, als wenn ich wie ein Werkzeug die Zeit benutzen könnte, dann werde ich unzufrieden.“

 

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