Erscheint im September 2022 in Universitas

Wird heute über Energiepolitik gesprochen, dann in den allermeisten Fällen über Energiewendepolitik. Wir befinden uns derzeit in einer Phase der Transformation unserer energetischen Grundlagen von einer technikbasierten zu einer naturbasierten Strategie. Technikbasierte Energieproduktion und Energieversorgung nutzen endliche, limitierte Energiequellen, naturbasierte arbeiten mit grundsätzlich unerschöpflichen sich erneuenden Ressourcen. Konkret: weg von Kohle, Öl, Erdgas und Uran hin zu Sonne, Wind, Wasser/ Wellen und Biomasse. Anlass dieses Umbruchs sind in erster Linie die pro- blematischen, immer häufiger auch katastrophalen Folgen der vor allem auf fossile Ressourcen zurückgreifenden bisherigen Energieversorgung. „Klimaveränderung“ und „zunehmende Belastung der Umwelt und der Ökosysteme“ sind die geläufigen Stichworte dafür.

Der Aufbruch – bis heute ist es immer noch ein Auf- und kein Umbruch – in ein postfossiles Energiezeitalter wird von Widerständen, Bedenken, Protesten bis zur Verweigerung begleitet. Er könnte und er müsste rascher vonstatten gehen. Genährt werden die Widerstände unter anderem durch Befürch- tungen, der Wandel des Lebensstandards, die erreichte Lebensqualität und das Wohlstandsniveau könnten in Gefahr geraten, es könnte zu Wohlstandverschiebungen kommen durch die „Kohle- und Ölgesellschaften“ ärmer und „Sonne- und Windenergiegesellschaften“ reicher werden. Diese Ängste und Befürchtungen sind nicht völlig unberechtigt, vor allem, weil die ökologische Transformation zur Energieerzeugung durch regenerierbare Energiequellen nicht nur in eine neue Zeit führt, sondern auch zu einer neuen Zeit. Diese zwingt zu einem anderen Umgang mit ihr. Die Energieproduktion der auf dem Rückzug befindlichen Maschinen- und Schornsteingesellschaft, deren energetische Grundlagen sich auf die Ausbeutung von in Jahrmillionen aufgebauten Kohlenstoffdepots gestützt hat, arbeitete vor allem, ging es um zeitrelevante Entscheidungen, mit der menschengemachten Zeit der Uhr. Mit dem Niedergang der Industrielandschaften, „Strukturwandel“ ist der gerne und oft gebrauchte Begriff dafür, verlässt die Uhr den Thron der Zeit und wird zum Opfer ihres Erfolges. Die sich auf erneuerbare Ressourcen stützende Energieproduktion passt sich nicht der mechanisch hergestellten, qualitätslosen Uhrzeit an und nutzt sie in geringerem Umfang als die konventionelle, sondern folgt den lebendigen Zeiten der Natur, die dem Zeitmuster „Rhythmus“ gehorchen. Da diese Umgestaltung in der Energieproduktion mit einer Veränderung des Zeitmusters vom maschinellen Takt zum lebendigen Rhythmus einhergeht, tangiert der Wandel auch das alltägliche Zeitleben und somit den gewohnten Umgang mit Zeit. Veränderungen der Zeitordnung und der Zeitmuster gehen, wie die Uhrumstellung im Frühjahr und im Herbst eines jeden Jahres, die in Deutschland mehr Aufregung verbreiten, als die Sache es hergibt zeigt, häufig mit Widerstand einher.

Die Uhr, sie ist eine vergegenständlichte Abbildung unserer Vorstellung von Zeit, unterstellt, dass es nur eine einzige Zeit gibt, während die rhythmischen Zeiten der Natur aus einer Symphonie miteinander verschränkter Zeiten und Zeitskalen bestehen. Die Zeit der konventionellen Energieproduktion ent- spricht der Newton’schen Vorstellung einer „absoluten”, einer von ihren eigenen Bewegungen unabhängigen, gleichmäßig fließenden Zeit; während die Natur, die des Menschen ebenso, wie die seiner natürlichen Umgebung, viele unterschiedliche Zeiten kennt. Jede regenerative Energiequelle hat ihre eigene Zeit. Der Wind eine andere als die Sonne, Wasser und Wellen andere als die Biomasse und die in der Geothermie genutzte Erdwärme. Die Welt der Maschinen und der Technik wird beherrscht von einer exakt quantifizierbaren und kalkulierbaren, einer beliebig reproduzierbaren standardisierten Zeit, die Natur hingegen von nicht-linearen, nur eingeschränkt berechenbaren, verän- derungsfreundlichen Zeitverläufen. Hier Takt, dort Rhythmus. Diesen Unterschied gilt es deutlich zu machen: Schauen wir also etwas genauer hin und betonen die Unterschiede zwischen dem Zeitmuster der Uhr, das ist der „Takt“ und dem Zeitmuster der Natur, das ist der „Rhythmus“.

Das Zeitmuster: „Takt“

Der Takt wiederholt Gleichartiges. Er gliedert es in gleichwertige Teile. Selbi- ges tut die mechanische Uhr mit der Zeit. Ihr hörbares Tick-Tack und ihr sichtbarer stets identischer Zeigerverlauf über das Ziffernblatt zerlegt das Werden und Vergehen in reproduzierbare Einheiten. Im Gegensatz zu den von der Natur ausgesendeten Zeitsignalen liefern die Zeitzeichen der Uhr Zählbares, aber sie liefern nichts Erzählbares. Die getakteten Zeitsignale der Uhr sind artifiziell, neutral, abstrakt, die der Natur und des Kosmos hingegen konkret und gesättigt mit Erfahrungen.

Die Uhr und ihr Zeitmuster „Takt“ machen die Dynamik, die wir „Zeit“ nennen, kontrollier- und berechenbar. Das regelhafte Gleichmaß der Bewegungsfigur „Takt“ duldet keine Abweichung. Es verleiht daher Sicherheit und Gewissheit. Auf den Takt kann man sich verlassen. Die Zeittakte, bekannt als „Sekunden“, „Minuten“ und „Stunden“, sind stets gleich lang. Sind sie dies nicht, liegt ein Störfall vor – die Uhr ist „kaputt“.

Der Takt ist autoritär, er ist nicht elastisch, ist unflexibel und nicht anpassungsbereit. Er presst die Zeit in das Korsett der Standardisierung und unterscheidet scharf zwischen „richtig“ und „falsch.“ Die „richtig/falsch Kategorien der Uhrzeit machen aus Zeitgenossen und Zeitgenossinnen „pünktliche“ und „unpünktlich“ Zeitgenossen und Zeitgenossinnen und unterscheiden sie in „taktvolle“ / „taktlose“.

Das Verlaufsmuster des Uhrentaktes ist die Abfolge des „Eins-nach-dem-an- deren“. In der industriellen Fertigung führt dies zum Fließband, in Baumschulen zur akkuraten Reihung der Pflanzungen. Die Transformation des uhrzeittypischen Eins-nach-dem-anderen auf Verläufe in der Verwaltung ist unter dem Namen „Bürokratie“ geläufig. In ihr liefert der Uhrentakt das Vorbild für die funktionale Vernunft der Organisation. Zum anderen wiederum ist es die Bürokratie, die die Prinzipien der Uhr, ihres ziellosen Zeigerlaufs und ihres Taktes für die Ordnung der Arbeit und der Gesellschaft attraktiv und verbindlich macht. Uhrzeit und Bürokratie fördern und stützen sich wechselseitig. Die vor 600 Jahren mit der Erfindung der mechanischen Uhr beginnende Ablösung der Zeitordnung, des Zeitmusters und der Zeitsignale vom Naturkontext gehört zu den wirkmächtigsten und folgenreichsten Richtungsänderungen des Abendlandes. Die „Bezifferung“der Zeit durch die Uhr führte zu einer ra- dikal veränderten Zeitwahrnehmung und zu einem bis dahin unbekannten Zeit-erleben. Die vertaktete Zahlenzeit, im Alltag sprechen wir von Terminen, Daten, Fristen und Deadlines, dominiert das Zeitdenken und das Zeithandeln und macht aus einer Welt der zeitlichen Vielfalt eine standardisierte Einheits- zeit. Es ist diese uniforme, artifizielle Uhrzeit die für eine kalkulatorische Grundhaltung in annähernd sämtlichen Lebenswelten der Gesellschaft sorgt. „Die moderne Welt beginnt“ schreibt der Naturphilosoph Schelling, „indem sich der Mensch von der Natur losreißt.“ Forciert wird diese Trennung von der mechanischen Uhr.

Alles das, was wir heutzutage über Zeit denken, sagen und mit ihr tun, ist vom Vorbild „Uhr“ beeinflusst. Was wir Arbeitszeitdisziplin nennen – das gilt gleichermaßen für die Arbeit in den Fabriken, den Büros und den Beratungszimmern – ist Uhrzeitdisziplin. Es ist die Vorstellung einer linearen, auf einer Geraden verlaufenden Zeit, die sich klein hacken lässt. Stunden, Minuten und Sekunden erlauben es, Ereignisse und Handlungen auf den Zeitpunkt ihres Eintritts und ihres Verlaufs hin zu markieren, zu planen und zu kontrollieren. Die Uhr überträgt ihren mechanischen Charakter, ihre Taktimperative auf ihre Nutzer und deren Lebenswelten und wie es Ludwig Thoma in seiner Posse „Ein Münchner im Himmel“ parodiert, sogar in die zeitlosen Gefilde der Se- ligen: „Von morgens acht Uhr bis mittags zwölf Uhr „Frohlocken“, von mittags zwölf Uhr bis acht Uhr abends „Hosianna-Singen.“ Bei Ludwig Thoma hat selbst der seiner Zeitkompetenz beraubte liebe Gott von den Erfindern der „Seelenlosigkeit des mechanischen Großbetriebs“ (Walter Rathenau) gelernt. Die wohl perfekteste Umsetzung des Uhrzeitregimes und seiner Taktimperative findet man bei dem US-amerikanischen Arbeitwissenschaftler Frederick Winslow Taylor in dessen Vorschlägen zur Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen. Diese zerlegt Taylor, stets dem Vorbild Uhr folgend, in Teilabschnitte und organisiert sie arbeitsteilig, um die gewünschten Produkte in möglichst kurzer Zeit herzustellen und die Abläufe in der Verwaltung so fix es geht abzuschließen. Der Takt zerteilt das Arbeitsgeschehen in Module mit strikten und verbindlichen Zeitvorgaben und zwingt die Arbeitenden zu einem monotonen Wiederholungshandeln.

Es war die Absicht Taylors jeden Arbeitsschritt streng und eng zu takten, zu standardisieren und zu vereinheitlichen und den Leib der Arbeitenden zu entrhythmisieren um ihn uhrzeitkompatibel zu machen. Der vertaktete Leib soll dem naturwissenschaftlich-mechanistischen Ideal einer manipulier- und steuerbaren Maschine gleichen bei der die Kolben stampfen, die Mechanik tickt und rattert und das Räderwerk perfekt ineinandergreift. Nur diese, von allen Inhalten und Sinnbezügen gereinigte naturdistanzierte Uhrzeit kann mit dem Geld eine enge Beziehung eingehen. Erst die Uhr, die dem Menschen eine abstrakte mechanische Zeit aufzwingt, verleiht der Zeit einen Tauschwert und macht sie zu einer Sache des Geldes und für den Kapitalisten zu einer des Profits. Beide, die Uhr und das Geld, beschränken sich jedoch nicht auf ihre spezifische Funktion als Zahlungsmittel und Zeitmessgerät, sie machen die Gesellschaft darüber hinaus zu einer hochtourigen und maßlosen „Tut mir leid, keine Zeit“ Beschleunigungsgesellschaft und eliminieren mit den Rhyth- men die Zeitqualitäten aus dem Lebensvollzug.

„Industriegesellschaft“ ist die in Geschichtsbüchern gerne verwendete Be- zeichnung für die Taktgesellschaft. Der Takt der Uhr ist für das Funktionieren einer Gesellschaft verschmutzer Arbeiter, rauchender Schornsteine und feuerspeiender Hochöfen so essentiell, wie Schmiermittel für das reibungslose Funktionieren von Maschinen. Doch nicht nur Arbeitsabläufe in den Fabriken, den Kontoren und den Büros werden in der Industriemoderne vertaktet, sondern auch das individuelle, das soziale und das gesellschafliche Leben jenseits der Produktionsstätten. Vertaktet wird der Personen- und der Gütertransport (Fahrpläne), vertaktet wird die Fernkommunikation (Telefontakte), die Zeiten des Einkaufs und des Konsums (Ladenschlusszeiten) und taktmäßig organisiert werden die Zeiten der Bildung und der Qualifizierung (Lehr-, Stunden- und Studienpläne). Zur Geschichte wachsender Naturdistanz durch Vertaktung gehört auch der Abschied des vierbeinigen Pferdes als Arbeits-, Zug- und Lasttier und dessen Ersatz durch maschinelle Pferdestärken. Auch dies einer jener folgenreichen Schnitte durch das Band, das die Zeit und die Menschen einst mit der Natur verbunden hat.

Der Takt ist ein mechanisches, ein „totes“ Zeitmuster. Leben findet jenseits der vertakteten Welt statt. Der Takt bringt das Lebendige zum Verschwinden. Das Tick-Tack der Uhrenmechanik reagiert nicht auf das Wetter und dessen Kapriolen, es verhält sich ignorant zu Helligkeit und Dunkelheit, interessiert sich weder für Stimmungen, Gefühlslagen und die aktuelle Lebenssituation jener Subjekte, die auf die Uhr schauen. Im Gegensatz zur stets richtig gehenden Sonnenuhr, die bekanntlich nur die schönen Stunden anzeigt und das Vergehen der Zeit geräuschlos begleitet, kommentiert die mechanische Uhr das Werden und Vergehen mit einem mal mehr, mal weniger lauten Tick-Tack. Die das Leben auf Distanz haltende Uhr und deren bezifferbare, lineare Zeit kann der Mensch nur dosiert ertragen. Fabriktore, Bahnhöfe, Verwaltungsgebäude sind Orte, an denen man Uhren erwartet. In Kinderzimmern haben Uhren jedoch so wenig verloren wie in elterlichen Schlafzimmern. Im Wald sind sie so überflüssig wie im Innern von Kirchen.

Das Zeitmuster: „Rhythmus“

„Rhythmus“ nennen wir jenes Formprinzip zeitlicher Dynamik, das die menschliche mit der pflanzlichen und der tierischen Natur und mit den Zyklen des Kosmos verbindet. Der Rhythmus ist geordnete Freiheit, ist das Zeitgesetz des Lebendigen. Der dem Lebendigen, Vitalität und Kraft verleihende Rhythmus ist so etwas wie der rote Zeitfaden im bunten Teppich der Natur. Er verbindet Altes mit Neuem, Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigem, integriert Gewohntes in Ungewohntes, wiederholt und erneuert. Merkmal der Bewegungsfigur „Rhythmus“ ist die variable Wiederholung von Themen, Ereignissen und Vorkommnissen. Der Rhythmus wiederholt Zustände in ähnlicher und nicht wie der Takt, in identischer Form. Er ist elastisch, flexibel und reagiert auf Einflüsse der Um- und der Mitwelt. Rhythmen erlebt man beim Ein- und Ausatmen und bei dem über den Tag pulsierenden Wechsel der Phasen von Aktivität und Passivität. Die Variabilität der Atemzyklen, der Umfang der Atemzüge und ihr Tiefgang sind situationsgebunden, verändern sich in Abhängigkeit vorangegangener Anstrengungen und Belastungen. Auch die äußere Natur pulsiert in rhythmischem Werden und Vergehen. Das Wachstum von Bäumen bildet sie in Jahresringen ab. Terminkalender suggerieren in ihrer Anordnung einen vertakteten Ablauf des Jahres, ihre Nutzer aber erleben einen rhythmischen Verlauf: Jedes Jahr Frühling, Sommer, Herbst und Winter, stets in gleichbleibender Reihenfolge, niemals jedoch von beständiger Qualität. Jeder Jahresverlauf: Wiederholung mit Abweichung.

Die Griechen der Antike sahen in der rhythmischen Dynamik die wirkmächtige Kraft eines geregelten Wandels der zugleich die Veränderung der bestehenden Ordnung möglich macht. Trennt der Takt scharf zwischen richtig und falsch, so pendelt der Rhythmus zwischen den Polen des Angemessenen und des Unangemessenen. Rhythmen lassen und eröffnen Spielräume und zeigen sich im Rahmen ihrer Schwankungen elastisch, flexibel und geschmeidig. Die Rhythmizität lebendiger Systeme sorgt für ein pulsierendes, variables Leben, schwingend zwischen Kontinuität und Diskontinuität, Höhen und Tie- fen, Zufälligem und Geplantem, Anfängen und Abschlüssen, Werden und Vergehen. Das Herz schlägt rhythmisch, der Uhrzeigerverlauf hingegen ist stets der gleiche. Rhythmen sind schöpferisch, innovationsfreundlich. Der sich abweichungslos wiederholende Takt verleiht Sicherheit. „Der kreative Prozess ist rhythmisch“, so Whitehead in seinem Hauptwerk „Prozess und Realität“. Das von Chronobiologen unglücklich als „Innere Uhr“ beschriebene menschliche Zeitprogramm koordiniert den Organismus mit den Veränderungen der Außenwelt und stimmt auf diese Weise die Körperaktivitäten mit den Gegebenheiten und den Dynamiken der Umwelt ab. In einer Uhrzeitgesellschaft fällt es Subjekten häufig schwer, den eigenen Rhythmen zu folgen und sich mit ihnen durch Resonanzen zu verbinden, da ihnen ihre Um- und Mitwelt den Takt aufnötigt. Die dabei entstehenden Entfremdungspobleme bekommen vor allem Fernreisende zu spüren, die nach einem Flug über mehrere Zeitzonen hinweg einen Zustand beklagen, den sie „Jetlag“ nennen. Bei diesem handelt es sich um eine Desynchronisation leiblicher Zeitgeber und den Zeitanforderungen der Umwelt.

Wie es Menschen nicht möglich ist, sich den Gesetzen der Schwerkraft zu entziehen, so wenig können sie sich ihrer Zeitnatur, ihrer rhythmischen Konditionierung entledigen. Das gelingt ihnen, obgleich vielfach versucht, selbst nicht mit jenen Mitteln, die zur Manipulation der Stimmungs- und Gefühlswelt in Apotheken und Drogerien bereitgehalten werden. Selbst in Situationen, in denen die Diktatur der Uhr und die Imperative des Takts die Unterdrückung des Rhythmus verlangen, kann der Mensch seine Rhythmizität nicht still stellen um sie wie einen Regenschirm für ein paar Stunden an der Garderobe ab- geben. „Wir können die Natur nur beherrschen, indem wir uns ihren Gesetzen unterwerfen“ (Francis Bacon). Karl Kraus hat dies vor über 100 Jahren (1917), als das vertaktete Telefon dabei war, seinen bis heute anhaltenden Siegeszug zu starten, in einem schönen Vergleich auf den Punkt gebracht: „Ohne Telefon kann man nur deshalb nicht leben, weil es das Telefon gibt. Ohne Wald wird man nie leben können, auch wenn’s längst keinen Wald mehr geben wird.“ Den Menschen liegt, so jedenfalls feiert es eine Schlagerweisheit, der Rhythmus im Blut. Wir kennen Gesellschaften, die keine Uhren haben, bei denen der Tag kein Datum besitzt und Kinder nicht zur Schule gehen. Zugegebenermaßen, heute sind es nicht mehr allzu viele. Was wir auf diesem Planeten jedoch nicht kennen, sind Kulturen, die keine Musik haben und deren Mitglieder nicht tanzen; nicht eine einzige. Die Musik, die im wahrsten Sinne des Wortes Herzen höherschlagen lässt, ist die Muttersprache der Menschheit. Das Leben ist eine Symphonie der Rhythmen. Begegnungen mit musikalischer Rhythmik führen zu Resonanzen und prägen Stimmungen. Sie gehen zu Herzen, dirigieren den Herzschlag, die Atemfrequenz, den Blutdruck, die Muskelspannung und fügen motorische und sensitive Funktionen zusammen. Musikalische

Rhythmen bauen Aggressionen ab, beeinflussen die Konzentration und die Leistungsfähigkeit und, damit operieren Kaufhausmanager, sie manipulieren das Verhalten.
Leben ist auf Dauer ausschließlich als rhythmisches Leben möglich. Dies ist ein Naturgesetz, das fürs individuelle Dasein ebenso gilt, wie für die soziale Existenz einschließlich ihrer technischen Ausstattung. „Die Architektur ist nur ein Steinhaufen, die Statue nur Material, die Prosa bloßer Lärm; und die Redekunst fällt zurück in Unsinn und Langeweile, wenn ihr der Rhythmus und das Auf und Ab der Betonungen fehlen“ (Michel Serres: „Die fünf Sinne“, 1993, S.161).

Der menschliche Körper reagiert auf ein Leben gegen die Rhythmen der inneren und der äußeren Natur mit Symptomen der Entfremdung, mit Ermüdung, Erschöpfung und depressiver Verstimmung. Gegen solche Formen resonanter Privatinsolvenz wehrt er sich unter anderem durch eine Reaktion für die man sich die Metapher vom „Burnout“ hat einfallen lassen. Lebenskrisen, Entfremdungszumutungen sind zu einem Großteil Folgen von Rhythmusdefiziten und Resonanzverstummen.

In milder Form führen sie zu einer nur schwer stillbaren Sehnsucht nach Idyllen heiler Natur, die urbane Zeitgenossen, 90 Prozent von ihnen verbringen ihre Lebenszeit heute in geschlossenen Räumen, zuweilen auf die Idee bringen, das Garagendach zu begrünen. Und/oder einen Waldspaziergang zu machen. Um den Zumutungen der Vertaktung Einhalt zu bieten, verlassen Städter regelmäßig mit vielen Gleichgesinnten die Betonschluchten und Topfpflanzenumgebungen ihrer Wohnungen um im nahen und fernen Grünen zu finden, was es dort schon lange nicht mehr gibt, das Erlebnis unberührter Natur. Getrieben von der Illusion, jenseits der betonierten Areale läge das Paradies und unterstützt von ökopsychologischer Ratgeberliteratur wandern sie mit Walkingstöcken, Funktionsunterwäsche, Treckingrucksack und GPS-Daten auf ihrem Smartphone durch Wälder und Auen, klettern auf Berge und stürzen sich in die Wellen des Meeres. Von ihren Naturkontakten erhoffen sie sich, was sie in der „Apotheken Umschau“ gelesen haben: „Naturerleben fördert das Wohlbefinden durch Entlastung vom Alltagsstress, Aufhellung der

Stimmung, Erhöhung der Zufriedenheit, einer besseren Schlafqualität und einem stabileren Kreislauf“.
Zu Wohlstand gekommene Zeitgenossen versprechen sich vom Weinbau, fernab von der Hektik des Marktgeschehens und weit weg von der hastigen Medienwelt ein „Zurück zu den Wurzeln“ und ein Wiedereinklinken in die Rhythmen und Resonanzen der Natur. Während die Kleinverdiener, die den Neuwinzern den Wohlstand erarbeitet haben, ähnliches von der Pflege ihrer Parzelle im Kleingartenverein „Lebensfreude“ erhoffen. Vor 200 Jahren fand Joseph Freiherr von Eichendorf dafür die zutreffenden Reime: „Da draußen, stets betrogen/Saust die geschäft’ge Welt,/ Schlag noch einmal die Bogen/Um mich, du grünes Zelt!“

In welcher Form die Hinwendung zur Natur auch immer erfolgt, sie ist stets auch eine Flucht und eine Abwendung von den Zeitzumutungen einer technisch-maschinell vertakteten Lebenswelt, von einer Überausstattung mit Geräten und Maschinen, von bürokratischem Ansinnen und einem Übermaß an Takt- und Terminzwängen. In kontrollierten Fluchten in die Natur wird dafür Trost und Kompensation gesucht.

Die Ordnung im Rahmen des Vergänglichen, die wir mit der Koordination der Zeitmuster Rhythmus und Takt machen, gelingt selten problemlos. Normal sind Konflikte, Spannungen und Konkurrenzen zwischen den Zeitvorgaben der Uhr und den Zeitsignalen, die von der äußeren Natur und vom Körper aus- gehen. Dramatisch zeigen sie sich diese Konflike beim Start in die Arbeitswoche. Schlafprobleme, Unlustgefühle bis hin zu Panikanfällen begleiten den Wechsel vom rhythmischen Wochenendleben zur vertakteten Arbeit an der Maschine und im Büro. Verglichen mit Freitagen berichtet die „Berufsgenos- senschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege“, liegt die Quote bei den Arbeitsunfällen an Montagen bis zu 30 Prozent höher als am Ende der Woche. Warum? Während die vertakteten Maschinen und Geräte zu Arbeitsbeginn sofort mit vollem Tempo starten, benötigen die an und mit ihnen arbeitenden rhythmisierten Personen Übergangs- und Anlauf-Zeiten. Menschen müssen sich, beginnen sie etwas Neues, zuerst „warm“ laufen, brauchen Zeit, um auf jene Tick-Tack Hochtouren zu kommen, mit denen die Maschinen durch

Knopfdruck starten. Menschen brauchen Anlaufzeiten, Übergangszeiten, Zwi- schenzeiten und Wartezeiten. Das Kippschalterprinzip des „ein/aus“ und die Linearität der Zeitvorgaben, die weder ein vitales Leben noch ein resonantes Erleben zulassen, sind der menschlichen Zeitnatur fremd.

Neue Zeiten braucht das Land

Der Takt, über lange Zeit die wirkmächtigste Integrationskraft der Gesellschaft, verliert seine Dominanz als Richtschnur der Zeitgestaltung. Die digitalisierte Gesellschaft organisiert ihre individuellen und ihre kollektiven Zeiten anders als es in der Industriegesellschaft der Fall war. In einer zunehmend vernetzten Welt, in der, was geschieht, immer häufiger rund um die Uhr, also jederzeit passiert, kann man auf die Uhr, ihre Zeit und ihren Takt verzichten. Nach einer erfolgsverwöhnten Vergangenheit, in der die Umsätze der Gebrauchsuhren von Rekord zu Rekord eilten, ist sie daher heute in der Auslaufzone angekommen.

Die postindustrielle Zeitrealität verlangt nicht länger mehr ein einheitliches Zeitmuster, sondern die Koordination zahlreicher Einzelzeiten und das Jonglieren mit unterschiedlichen Zeitqualitäten. Die Zeitgestaltung des Daseins wird zum Dauerexperiment bei dem das zeitliche Geschehen nicht mehr der klassischen Uhrzeitlogik folgt, sondern der von Robert Musil im „Mann ohne Eigenschaften“ eindrucksvoll beschriebenen: „Wie alle großen Städte bestand sie aus Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, Zusammenstößen von Dingen und Angelegenheiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen ge- geneinander …“

„Vom Takt zum Rhythmus“ lautet das Zeitprogramm der Transformation von der technik- zur naturbasierten Energieproduktion. Zugleich ist diese Umstellung von endlichen zu annähernd unerschöpflichen, sich stetig erneuernden Energiequellen der Schritt von linearer auf nicht-lineare Zeitorganisation, einer exakten Abfolge zum periodisch Ungefähren. Wir müssen uns von dem den Zeitdynamiken der lebendigen Natur widersprechenden Prinzip des

„Alles-immer-und-überall“, an das wir uns gewöhnt hatten, heute verabschieden. Die linear voranschreitende Uhrzeit und das vermeintlich über die Natur und deren Rhythmizitäten herrschende Subjekt, das sich in seinem Zeithandeln unabhängig von der Natur, ihrer Gesetze und des Schicksals wähnt, verlieren ihre Funktion als Leitbild des Zeitlebens und des Zeiterlebens.

Um unserer Naturdistanz Grenzen zu setzen, fordern Sozial- und Rechtswissenschaftler einer Ergänzung im Grundgesetz, die der Natur einen Eigenwert und ein Eigenrecht mit Anspruch auf Regeneration, Pflege und Bestandserhaltung zugesteht. Solch ein Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen schlösse dann den Schutz rhythmischer Prozessabläufe ein. Ohne Änderung unseres gewohnten Lebensstils und der Grundausrichtung unserer kulturellen Zeitorganisation wird dies nicht gehen zumal diese uns durch die sozialökologische Transformation der Energieversorgung aufgezwungen wird. Aus Zeitsicht ist dies ein Umbruch von einer Zeitorganisation und einer Zeitgestal- tung, die sich auf nicht verhandelbare Zeitgesetze stützen hin zu einer öko-sozialen Zeitpraxis versöhnter Verschiedenheit kulturell-technisch hergestellter und natürlicher Zeiten.

Die erneuerbaren Energien verlangen die Änderung unseres Zeitdenkens und unseres Zeitverhaltens, politisch, sozial, aber auch individuell. Wissen müssen wir nicht mehr, was die Stunde geschlagen hat, ob es sechs oder sieben Uhr ist, wir müssen wissen, ob’s hell oder dunkel, wie das Wetter ist oder ob Windstille herrscht. Das ist zugleich der Abschied von der Alles-immer-und-überall Mentalität. An deren Stelle tritt das Denken und Handeln in Perioden, Rhythmen und saisonalen Zyklen. Vielleicht, das aber ist spekulativ, wird dann die mechanische Uhr ihren erhabenen Platz auf dem Zeitthron an die Sonnenuhr abgeben.

Die Energiewende ist eine Zeitenwende

Die erneuerbaren Energien bestehen aus verschiedenen Formen der von der Natur gelieferten Energieformen. Am deutlichsten bei der Sonnenenergie, in den technischen Formen der Photovoltaik und der Solarthermie. Beide Technologien nutzen die Strahlung der Sonne. Die eine, indem sie das Licht der Sonne in elektrische Energie verwandelt, die andere, indem sie aus der Strahlung Wärme macht. Aber, wie bekannt, scheint die Sonne nicht den ganzen Tag. Die Erde dreht sich um ihre eigene Achse und so entstanden Tag und Nacht. Nachts scheint die Sonne zwar auch, aber sie steht nicht am Nachthimmel. Deshalb kann ihre Strahlung während der dunklen Stunden auch nicht zur Umwandlung in Energie genutzt werden. Kurzum, ohne Energiespeicher, wird es in Zukunft jede Menge nutzbarer Sonnenenergie am Tag geben, keine aber in der Nacht. Immerhin sind die Rhythmen der Nutzbarkeit des Sonnenlichtes sehr gut berechenbar, was einer zukünftigen Anpassung an die Energienutzung entgegenkommt. Aber ganz offensichtlich wird bereits an diesem Beispiel klar, dass es günstig sein könnte, sich an den Tag-Nacht-Rhythmus anzupassen und Energie dann zu verbrauchen, wenn sie vorhanden ist. Günstig würde schlicht bedeuten, den Aufwand für Energiespeicherung soweit zu verringern, wie dies möglich ist. Ein Fließgleichgewicht wäre anzustreben, also ein „Flow“. Dabei kommt so viel Energie rein, wie verbraucht wird, plus Reserve. Im heutigen Energieversorgungssystem ist es genau dieser „Flow“, der das Rückgrat für eine stabile Verteilung und Versorgung mit elektrischer Energie darstellt. Mit anderen Worten, unser Energiebedarf kann rund um die Uhr an allen Tagen der Woche, also immer befriedigt werden. Jedoch nur mit dem „alten“, von großen Kraftwerken erzeugten Strom. Diese Energiefreisetzungseinrichtungen sind grundlastfähig, d.h. sie können wirklich zu jeder Zeit rund um die Uhr genau die gewünschte Energiemenge bereitstellen. Sie können immer. Und an dieses „Energie beliebig viel und immer“ haben wir uns in sämtlichen Lebenslagen längst gewöhnt. Es müssen nur die nötigen Rohstoffe da sein. Stoffe, die aus dem Erdboden kommen.

Auf die Frage, woher denn die Rohstoffe für seine Maschinenproduktion kommen, antwortete ein Unternehmer: „Die werden geliefert“. Genau, die werden geliefert. Woher sie stammen, unter welchen Bedingungen sie dem Boden entnommen, ja entrissen werden, oder welche Umweltschäden sie anrichten, danach wird nicht gefragt, sie werden ja geliefert. Und mit der Energie war das bis jetzt genauso, auch die wird geliefert. Sie kommt von irgendwo her, meistens untergründig und unsichtbar per Stromkabel, sichtbar wird das nur am sich drehenden Stromzähler. Welcher technische Aufwand dahinter steckt, elektrische Energie, also diese Premiumform an Energie überhaupt bereitzustellen und dann per Hochspannungsleitung und später per Nieder- spannungskabel zu verteilen, das weiß kaum jemand.

Wir haben unsere beschleunigte Lebens- und Wirtschaftsweise mit grandioser Unwissenheit bezahlt. Wir wissen nichts mehr darüber, was eigentlich alles unbedingt notwendig ist, um so schnell, so intensiv und sofort zu leben und zu handeln. Die digitalen Netze haben diese Verdichtungen zu einem Maximum getrieben und verlangen einen ständigen andauernden Energiefluss in die Geräte und Netze.

Unser hypermodernes Sosein ist eine Existenz auf einer sehr dünnen Wissensschicht über die wirkliche Welt. In dieser wirklichen Welt gibt es die vier Jahreszeiten, mit ihren, selbst in Zeiten des Klimawandels immer noch unterschiedlichen Vegetations- und Wetterphänomenen. Es gibt die Rhythmen von Fauna und Flora, die Schwingungen und den Zeitenwechsel in der Atmosphäre und in den Meeren, das Auf und Ab der Gezeiten. Das ist eine große Leistung, die der Planet bereitstellt. Wir nehmen diese Leistung bis jetzt aber gar nicht wahr. Sie wird als gegeben, als selbstverständlich angenommen. Wir haben uns an die große Erzählung einer unerschöpflich, uns überall zur Verfügung stehenden Natur gewöhnt. Alles war stets in beliebiger Menge vorhanden, vor allem Rohstoffe und Energie. Sie standen immer zur Verfügung, rund um die Uhr, ohne Pause, ohne Ausnahme und ohne Bezug zur Zeit. Diese bisher gedankenlose „Zeitlosigkeit“ bei der Bereitstellung von Energie führt bei der Umstellung auf erneuerbare Energien zu gravierenden Zeitkonflikten, vor allem was den Umgang mit ihr und ihren Qualitäten betrifft.

Die Ressourcen erneuerbarer Energien kommen von allein. Aber nicht immer. Im Grunde sind alle erneuerbaren Energien entweder direkte oder indirekte Sonnenenergie. Die Sonne speist unseren Planeten mit Strahlung und Wärme, die vom Erdsystem umgewandelt wird. Unter anderem in die:

  1. Erwärmung der Atmosphäre
  2. Zirkulation der Atmosphäre
  3. Biotische Aktivität
  4. Zirkulation der Meere

Die Erde ist also auch eine Wärmekraftmaschine, jedoch nur aus dem Blickwinkel der Physik und der Technik. Aus der Perspektive der Systemwissenschaften, ist die Erde ein System, ein Netz, ein sehr komplexes Netzwerk. Die Sphäre der Natur setzt sich aus mehr oder weniger eng miteinander verbun- denen und miteinander Stoffe und Energie austauschenden Teilnetzwerken zusammen. Eine davon ist die Biosphäre, die aus allem was lebt und vergeht besteht. Das Potential dieser Sphäre für erneuerbare Energien und allen anderen Themen der Nachhaltigkeit und den Maßnahmen für Klimaschutz hängt mit den Vegetationsperioden zusammen. Holz wächst nicht beliebig schnell. Die Wachstumszeitskalen für Wälder und damit deren Nutzbarkeit für die Speicherung von Kohlenstoff oder als Brennmaterial liegen zwischen Jahren und Jahrzehnten, nicht jetzt, nicht unmittelbar. Die Nutzung von Pflanzen erfolgt zwischen Frühling und Herbst, da sie in diesen Monaten wachsen und vergehen. Die atmosphärischen Zeitskalen der Nutzung von Sonne oder Wind, verlaufen neben der kurzzeitigen Nutzung über Tag und Nacht, auch über die dunkleren und stürmischen Jahreszeiten Herbst und Winter beziehungsweise die helleren und wärmeren Frühling und Sommer.

Wasserkraft könnte eine zeitlich stabile Energiequelle sein, solange Wasser gestaut und dann in elektrische Energie verwandelt werden kann. Wenn aber, wie die Klimaszenarien der nahen Zukunft zeigen, es immer wieder zu zu vielen oder zu geringen Niederschlägen kommt, dann sind die Flüsse und Bäche entweder zu leer oder zu voll und dann auch zu schnell. Leider kann deshalb unter den Randbedingungen der aktuellen und zu erwartenden Er- wärmung und der Extremwetterereignisse auch nicht von einer immer zuverlässig greifbaren Energiequelle gesprochen werden.

Einzig die innere Wärme der Erde, die Geothermie und deren Nutzung für Heizung und Strom kann als „zeitlose“ Energiequelle angesehen werden. Sie ist allerdings nur lokal nutzbar und steht in vielen Regionen Deutschlands nicht zur Verfügung.

Ziehen wir ein Fazit. Die dringend notwendige möglichst rasche Nutzung von ausschließlich erneuerbaren Energien, stellt nicht nur eine große technische Herausforderung dar, sie wird auch vom Wirtschaftssystem und dem privaten Bereich eine völlig neue Zeitkultur verlangen. Die natürlichen Rhythmen legen sich wie eine planetare Schablone auf die Möglichkeiten der Energiebereitstellung und Energienutzung. Bedenkt man, dass alleine die technische Transformation zu den erneuerbaren Energien für den Klimaschutz zu einer maximal angestrebten Erwärmung von 1,5 oder 2 Grad nicht ausreicht, dann wird offensichtlich, dass es ohne zeitliche Verhaltensänderungen der Energie- verbraucher nicht geht. Kurz und hart: wir werden annähernd die Hälfte der bisher genutzten Energie einsparen müssen!

Eine nennenswerte Menge an Energie werden wir aber nur dann einsparen, wenn sich unser Energienutzungsverhalten an die natürlichen Rhythmen anpasst. Aus der „just in time“- und der „alles immer und überall“ -Ideologie des beschleunigten globalen Kapitalismus muss eine ganz neue, sich an die zeitlichen Abhängigkeiten der Verfügung von natürlichen Energiequellen berücksichtigenden Wirtschafts- und Lebensweise entwickeln. Die ökonomischen Zwänge eines stetigen Wachstums auf Kosten der Natur müssen durch eine die Natur respektierende Wirtschafts- und Lebensart ersetzt werden. Im Prozess des Produzierens und des Konsumierens werden zeitliche Variabilitäten, Pausen und Unterbrechungen wichtiger werden. Irgendwann ist dann auch genug wirklich genug. Die Natur und ihre Zeiten werden es uns danken, wenn wir hin und wieder die Uhr ignorieren, sie vergessen oder zur Seite legen und uns als lebendigen Teil des großartigen planetaren Netzwerks verstehen und erfahren. Zumal auch unser persönliches Glück nicht zuletzt darin besteht, nicht zu wissen, wieviel Uhr es ist.

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