Prof. Dr. Karlheinz Geißler in den XING News
11.07.2017

 

Pausenprogramme: Müssen wir wieder lernen, Pause zu machen?

Seit 1994 steht der Anspruch auf Pause im Arbeitszeitgesetz, doch immer weniger Arbeitnehmer nutzen diese. Viele Unternehmen setzen deshalb auf Pausenprogramme. Über deren Sinn wird jedoch gestritten.

  • Heutzutage wird die Pause zu oft als geldwerter Zeitverlust angesehen
  • Dadurch werden selbst kurze Auszeiten mit einem Programm gefüllt
  • Dabei sollten wir die Pause dazu nutzen, einmal nichts tun zu müssen

Der rastlose Zeitgeist meint es nicht gut mit der Pause. Er liebt sie nicht, er ehrt sie nicht. Die Diktatur des Immer-schneller und die des Zeitsparens hat die Pause zu ihrem Feindbild erkoren. Im Fernsehen ist jede Pause eine Sendestörung, im Internet ein Defekt, im Straßenverkehr ein Ärgernis und in der Arbeitswelt nichts weiter als ein geldwerter Zeitverlust. Es ist traurig, zu sehen, dass Pausen nur mehr dort geduldet werden, wo sie den Verwertungsinteressen der Ökonomie entgegenkommen und als treue Zuarbeiter jenes Zeit-ist-Geld-Imperiums fungieren, das es auf die Eliminierung sämtlicher ökonomisch uninteressanter und unverwertbarer Zeitqualitäten abgesehen hat.

Die Pause, es ist der Kurzurlaub vom Weitermachen, hat eine lange und ehrwürdige Geschichte. Eine würdige Gegenwart hat sie nicht. Ein kleiner Test belegt es: Eine der am stärksten irritierenden Fragen, die man einem Zeitgenossen heutzutage stellen kann, lautet: Was tust du, wenn du nichts tust? Die wenigsten kommen auf die Idee, einfach nichts zu tun – auch weil sie es nicht mehr gewohnt sind, eine Zeit lang nichts zu tun. Und für eine Mehrheit derer, die es wirklich fertigbringt, nichts zu tun, ist dies eine schreckliche Erfahrung.

Pausen markieren einen Unterschied

Pausen sind aber nicht nichts. Sie sind weder leere noch überflüssige Zeiträume und sie sind keine Zeitverluste. Wenn sie’s doch sind, dann sind sie „wertvolle Zeitverluste“. Weil in ihnen nichts geschieht, geschieht etwas, was sonst nicht geschehen würde. Merke: Pause machen ist keine Sünde, es ist nicht mal eine Fahrlässigkeit und erst recht ist es keine „verlorene“ Zeit. Pausen sind lebendige Zeiten, sie stellen einen Unterschied her. Die Pause „Sonntag“ markiert den Unterschied zwischen Werktag und Feiertag, die Pause „Schlaf“ den zwischen Passivität und Aktivität, die „Mittagspause“ unterscheidet den Vormittag vom Nachmittag.

Die Diktatur des „Sofortismus“ aber hat die Pause zu ihrem ungeliebten Gegenspieler erklärt. Aus Pausen wurden so Störungen, aus dem Innehalten ein Defekt. Pausen sollen, müssen „gefüllt“ werden – so will es die Politik, wollen es die Wirtschaftsführer, so streben es die Freizeitindustrie wie das Fernsehen und das Internet in seltener Einigkeit an. Füllen jedoch will man sie nicht mit Ruhe, Stille und eventuell sogar Muße, sondern ausschließlich mit geldwertem Tun, mit Pausenprogrammen. Diese nehmen der Pause, was sie ausmacht, ihre Offenheit, ihre Unkalkulierbarkeit.

Fünf Handlungsempfehlungen für die Pause

Regel Nummer eins – und das ist keine Empfehlung, das ist ein „Muss“: Machen Sie Pausen. Machen Sie regelmäßige Pausen und auch spontane, je nach Belastung, je nach Situation. Die regelmäßigen strukturieren den Alltag, schaffen Orientierung und entlasten von Zeitentscheidungen. Die spontanen dienen der Belastungsreduktion, der Erholung und der Wiederherstellung der Arbeitskraft.

Treibt Sie die Frage um: Was tun in der Pause? Dann lautet unsere Antwort: Nichts oder das Gegenteil dessen, was Sie zuvor getan haben. Haben Sie lange gesessen, stehen Sie auf, sind Sie viel gelaufen, setzen Sie sich hin, haben Sie eine Menge geredet, tun Sie’s in der Pause nicht, waren Sie allein, dann suchen Sie den Kontakt zu Mitmenschen.

Pausen macht man nicht, Pausen braucht man. Hören Sie daher auf Ihren Körper. Er teilt Ihnen verlässlich mit, wann Sie eine Pause brauchen. Unsere tagesrhythmische Zeitnatur verlangt neben der Schlafpause in der Dunkelheit auch eine Pause zum mittäglichen Durchhänger des Tages. Die im Arbeitsbereich übliche 30-Minuten-Mittagspause ist zu knapp bemessen, der Durchhänger dauert länger. Die Chronobiologen empfehlen eine Stunde als Minimum, in der man nicht nur die Arbeit unterbricht, sondern sich auch ausruht. Konkret: Füße hoch, Augen zu und, wenn möglich, ein Kurzschlaf von 10 bis 15 Minuten.

Merken sollten Sie sich: Die besten Pausen sind diejenigen, die man macht, bevor man sie nötig hat. Dazu gehören vor allem die erholsamen Kurzpausen, etwa der Blick aus dem Fenster ins Freie während der Arbeit am Bildschirm. Die Augen, aber nicht nur diese, können sich dabei entspannen und erholen. Und die verloren gegangene Lust an der Arbeit kommt beim Blicke-schweifen-Lassen vielleicht auch zurück.

Und jetzt: Machen Sie am besten eine Pause – ohne Pausenprogramm. Gönnen Sie sich ein paar Minuten leerer, offener Zeit, so ganz nach Ihrem Gusto.

Dieser Text basiert auf Auszügen aus dem Buch von Karlheinz Geißler und Jonas Geißler: „Time is honey. Vom klugen Umgang mit der Zeit“.

 

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